Hm, da machst du es dir aber auch wieder etwas einfach...
Ja, die Industrie bestimmt seit Jahrzehnten viel zu sehr, was geht und was nicht geht. Die Politik braucht Jahre, um Dinge durchzusetzen, die jeder klar denkende Mensch für völlig selbstverständlich hält. Und warum? Aus zwei Gründen:
Erstens will die Industrie mit bestehenden Techniken und Produktionsmitteln, etablierten Verfahren und Strukturen geld verdienen. (z. B. die Autoindustrie mit bestehenden Techniken, in die viel investiert wurde, mit Fabriken, die schon da stehen, mit einem entwickelten Werbeimage und bestehenden Kostenstrukturen) oder die Ölindistrie mit bestehenden Raffinerien, Öltankern und Tankstellennetz. Die Stromindustrie mit Gas-, Kohle-, Öl- und Kernkraftwerken, bestehenden Leitungsnetzen und Monopolen. Und so weiter...
Veränderung bedeutet, Renditerückflüsse aus bereits getätigten Investitionen zu verlieren. Und die Einflussnahme auf politische Entscheidungen bedeutet, die Rückflüsse zu erhöhen.
Zweitens aber - und das vergisst du bei deiner gesamten Argumentation, will der Konsument alles billig und in Massen haben. Benzin muss billig sein, Flugreisen müssen billig sein, Fleisch muss billig sein. Lebensmittel überhaupt, Kleidung, Retaurantbesuche, Schwimmbad, ... alles soll möglischt billig sein. Wenn nicht, wird die Regierung abgewählt. Niemand war in den letzten Jahrzehnten bereit, höhere Stromprese für den Ausstieg aus der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern in Kauf zu nehmen (über die EEG-Umlage hab ich alle Welt nur jammern hören, das sei Schwachsinn, der Staat würde einem nur das Geld aus der Tasche ziehen usw...). Die Energiepreise sind ein Politikum wie sonst nichts. Während wir uns diesen (sorry, persönliche Meinung!) Genderschwachsinn aufdrücken lassen, ohne dass einer auch nur den Mund aufmacht, herrscht an den Stammtischen sofort Bürgerkriegsstimmung, wenn der Benzinpreis um ein paar Cent steigt. Und am meisten maulen die mit den dicksten Karren.
Leider wird oft selbst da, wo es Zustimmung gibt, nichts gemacht, weil Minderheiten, die dem Profit dienlich sind, das Wort geredet wird. 70 % der Bundesbürger befürworten ein Tempolimit auf Autobahnen auf 130 Km/h. Aber die Industrie will das nicht. Weil es dann keinen Sinn mehr machen würde, Boliden mit 350 PS und 250 Km/h spitze zu bauen - und die sind nun mal Exportschlager.
Übrigens hast du mich offenbar völlig missverstanden. Ich verlange keineswegs von jemandem, dass er an allen Fronten sich für neue Techniken und umweltbewußteres Handeln aktiv einsetzt. Das schaffe ich ja selbst nicht. Der Ausgangspunkt war, dass die Senkung der Umweltprämie und damit der Anreiz für einen wesentlichen Teil der Mobilitäts- und Energiewende befürwortet wurde - mit einem für mich absolut nicht nachvollziehbaren Argument. Der typische Reflex derer, die ich "Ewiggestrige" genannt habe, die aus welchen Gründen auch immer an dem Althergerachten festhalten und dem Neuen die Sinnhaftigkeit absprechen. Dabei geht es gar nicht darum (und das hab ich auch nie gefordert), dass sich jeder sofort ein Elektroauto kauft. Aber wenn die bestehende Kiste den Geist aufgibt, kann man ja mal drüber nachdenken. Auch darüber, sein Fahrverhalten zu verändern. Oder ob vielleicht ein Benziner und ein Elektroauto im Haushalt auch reichen. Oder ob man vielleicht für die paar größeren Fahrten oder Transporte mal einen Mietwagen nimmt oder den vom Schwager ausleiht... oder ob man mehr Rad oder Bahn fährt und dann vielleicht auf ein Auto verzichten kann. Ob die Kosten für ein Elektroauto wirklich so hoch sind, wie man am Stammtisch gerne propagiert. Ob man nicht vielleicht doch mit 350 Km Reichweite leben kann. Und wer jedes Wochenende 650 Km hin und zurück zur pflegebedürftigen Mutter fährt oder beruflich viel fahren muss, dem wird (zumindest jetzt noch) keiner absprechen, sich einen Verbrenner zu kaufen. Für die meisten Leute gilt aber das Suppenkasperprinzip: Ich will nicht, weil ich nicht will! Ich zitiere einen Freund von mir: "Ich lass mir von den grünen Öko-Terroristen mein Auto nicht wegnehmen!"
Das Problem haben wir überall. Und leider wird es von den meisten Leuten in allen Belangen abgebügelt. Sei es Autofahren, Rauchen/Alkohol, Flugreisen, Mülltrennung, ... überall wird zugunsten der eigenen Bequemlichkeit und kurzfristig auch des Geldbeutels in Kauf genommen, dass man massive Schäden bewirkt. Die Umwelt stellt uns keine Rechnung. Die Erde auch nicht für die Ausbeutung der Ressourcen. Die Menschlichkeit stellt uns keine für die Ausbeutung von Arbeitern in Fernost. Die Zukunft stellt uns keine Rechnung für die Chancen, die wir den nachfolgenden Generationen nehmen oder die Lasten, die wir ihr aufbürden. All das fehlt in den Preisen der Produkte, die wir täglich konsumieren.
Aber natürlich kann niemand überall zum Helden werden. Ich bin zum Beispiel bei Weiten kein Vegetarier, obwohl ich alle Argumente dafür gut nachvollziehen kann. Ich bemühe mich, etwas weniger Fleisch zu essen, aber es ist objektiv gesehen auf jeden Fall immer noch zu viel. Inzwischen kauf ich auch mal Biofleisch - aber ehrlich, die Preise sind schon happig. Ich persönlich bin dafür, dass ALLES Fleisch zu vernünftigen Bedingungen erzeugt wird, dann hätte man diese verstörende Wahl zwischen teuer und Bio oder billig und schlechtes Gewissen nicht. Und das ist doch genau, was du ansprichst. An vielen Stellen bist du "der Dumme" wenn du dich engagierst. Das ist es auch, was ich mit Idealismus gemeint habe. Man bringt da schon auch gewisse Opfer. Und da hab ich auch allen Respekt vor Vegetariern.
Der Trugschluss ist aber, dass alles teurer wird, wenn wir bessere Techniken oder bessere Bedingungen etablieren. Fleisch aus nachhlatigerer Produktion wäre teurer, aber man würde auch etwas weniger davon essen und es mehr genießen, Gesundheitsschäden durch falsche Ernährung würden sinken, die Kosten dafür auch und man könnte sich das teurere und bessere Fleisch dann auch leisten. Elektroautos sind technologisch wesentlich preiswerter als Verbrenner. Qualitativ bessere Kleidung, die zu fairen Löhnen produziert wird (statt der blutgetränkten Lappen aus Bangladesch) wären haltbarer, Armut in den Herstellerländern würde sinken, Kriege und Migrationsbewegungen zurückgehen... Energie aus erneuerbaren Quellen wäre auf Dauer sicher, preiswert und spart uns die Kosten für die Folgen des Klimawandels, für das millionenjahrelange Hin-und-her-Geschunkel der Atomabfälle und erhielte und wertvolel Rohstoffe, die wir besser einsetzen können für hilfreiche und nützliche Produkte, z. B. Medikamente.
Blöderweise haben wir aus den beiden oben genannten Gründen seit 50 Jahren versäumt, die Wege in eine modernere Welt zu beschreiten. Schuld ist also nicht nur die Politik und die Industrie, sondern auch und vor allem der Bürger, der ja alles kurzfristig billig haben will und nicht an morgen und an die Folgen denkt.
Wenn wir heute aus Eigennutz Ressourcen ungehemmt ausbeuten und die Umwelt zerstören, brauchen wir und morgen nicht beklagen. (Entsprechend sind wir an der Erdgas-Misere doch selbst schuld, weil wir das Gas ja in den letzten 20 Jahren nicht billig genug kriegen konnten und uns dafür von dem russischen Kriegstreiber abhängig gemacht haben.)
In diesem Sinne wünsche ich mir von der Politik mehr Visionen, Weitsicht, Ehrlichkeit und Überzeugung, mehr Mut zur Veränderung, gegen kurzfristige Profitinteressen der Industrie und auch der Bürger und für nachhaltigen Wohlstand auch für die künftigen Generationen.
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